WEIHNACHTEN 2009 ZETTELKASTEN Kreuz zum Kuscheln VON JOHANNES BRECKNER Zum Weihnachtsfest ein kleines Rätsel. Was ist das? Es ist weich und gepolstert, man kann es drücken und sich daran kuscheln, es als Talisman unters Kopfkissen oder auf die Sofadecke legen, es ist in verschiedenen bunten Dekors erhältlich, und es ist kein Billigprodukt aus Fernost, sondern in Deutschland handgefertigt. Und wer es kauft, unterstützt auch noch notleidende Kinder. Bei diesem sympathischen Gegenstand handelt es sich um ein Kreuz, an dem ein Mensch mit ausgestreckten Armen hängt. Dieses Symbol bringen viele Menschen immer noch mit dem Leiden Christi in Verbindung, es erinnert sie daran, dass Religion gerade nichts Kuscheliges ist. Aber derlei Düsternis muss nicht sein, verspricht der Darmstädter Küstler Ralf Kopp von seinem "snuggle cross", was sich als Kuschel- oder auch Knuddelkreuz übersetzen lässt. Das Ding gehört "keiner Religions- oder Glaubensgemeinschaft oder ideologischen Gruppierung an" und "bietet neue Möglichkeiten für einen individuellen und absolut freien Umgang mit dem Kreuz", wirbt Kopp. Man kennt ihn als freundlichen und vemünftigen Menschen, der schon einige sehr originelle Dinge getan hat in seinem künstlerischen Leben. Bei seinem Kuschelkreuz in verschiedenen limitierten Design-Editionen fragt man sich allerdings, was ihn diesmal angetrieben hat. Man könnte ja einen künstlerischen Tabubruch dahinter vermuten, einen absichtsvoll blasphemischen Akt, der das Leiden in Konsum umdeutet and auf diese Weise zeigen will, wie sinnentleert unser Umgang mit dem Kreuz geworden ist. Aber dafür sind die Formulierungen darin doch nicht satirisch genug, und die Erklärung ist wahrscheinlicher, dass es sich doch um eine besondere Form der Naivität handelt, gepaart mit der Hoffnung auf ein gutes Geschaftsmodell. Wenn die Sache gut läuft, ist zum Fest 2010 die praktische Dornenkronen-Mütze Mode, in limitierter Auflage aus hautfreundlichen Naturmaterialien gefertigt. Ein Kuschelkreuz kostet knapp hundert Euro. Wenn der Mensch es geschenkt bekommt, sei es im Leopardenmuster (Afrika-Design) oder auch in der Variante "Passion" (was hier eher mit Leidenschaft als mit der Passion Christi zu übersetzen ist), wird er seinen Wert auf etwa 90 Euro schätzen. Wenn er es aber weiterverkaufen will, weil er vielleicht schon drei Kuschelkreuze unter dem Kissen liegen hat und die Sache langsam unbequem wird, verlangt er etwa 120 Euro. So sind die Menschen, wurde an der Bochumer Uni herausgefunden: Geschenke sind ihnen weniger wert, als sie den Schenkenden gekostet haben, aber beim Weiterverkaufen würden sie zulangen. Volkswirtschaftlich betrachtet, ist die Sache mit dem Schenken also ein Effizienzverlust: Ich gebe hundert Euro aus, bewirke aber eine NeunzigEuro-Freude. Diese sehr materialistische Betrachtung weihnachtlicher Gaben passt zu der fortschreitenden Profanisierung, die sich nicht nur in Kuschelkreuzen äußert. Es gibt aber auch wackere Gegenbewegungen. In Bayern hat eine Schulklasse beliebte Spiele umgeschrieben. Aus den "Siedlern von Catan" wurden die "Siedler von Israel", "Monopoly" wurde zu "Christopoly", wo man sein Hotel nicht mehr in die Schlossstraße baut, sondern an Wallfahrtsorte, und bei "Volker ärgert Euch nicht" treten Juden, Christen, Muslime und Heiden gegeneinander an. Wer verliert, kann sich mit dem Kuschelkreuz trösten.